„Niedersachsenderbys in der kommenden Saison ohne Gästefans“

Daniela Behrens, Innenministerin von Niedersachsen, fordert den Ausschluss von Gästefans bei den Niedersachsen-Derbys in der kommenden Saison. Die Fanhilfe Hannover wirft der SPD-Politikerin Populismus vor. Martin Kind von Hannover 96 bezeichnete die Forderung von Behrens hingegen eine sinnvolle Überlegung.

Unter dem Titel „Konsequenzen aus massivem Pyrobeschuss – Niedersachsenderbys in der kommenden Saison ohne Gästefans“ erklärte das das Innenministerium von Niedersachsen in einer heutigen Pressemitteilung: „Niedersachsens Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, hat am heutigen Mittwoch (24.04.2024) mit Vertreterinnen und Vertretern der 2. Bundesliga Clubs Hannover 96 und Eintracht Braunschweig sowie der Polizei Niedersachsen Bilanz zum Niedersachsenderbys am 14. April 2024 gezogen und über Konsequenzen aus dem erneut massiven Einsatz von Pyrotechnik von Seiten einer kleinen Minderheit der Anhänger beider Vereine beraten. Im Vorfeld des Spiels in Braunschweig war es Angehörigen der Risikoszenen beider Vereine gelungen, zahlreiche pyrotechnische Gegenstände in das Stadion zu bringen. Insgesamt sieben Personen wurden im Verlauf des Spiels direkt oder indirekt durch den Beschuss mit Pyrotechnik verletzt. Die Vereine stimmten vor diesem Hintergrund zu, den im vergangenen Jahr begonnenen, intensiven Austausch mit der Polizei fortzusetzen. Noch ausstehende organisatorische und bauliche Maßnahmen sollen schnellstmöglich umgesetzt werden, um die Sicherheit bei zukünftigen Begegnungen weiter zu erhöhen. Im Fokus stehen dabei insbesondere die Kontrolle der Spielstätten im Vorfeld, die Einlasskontrollen sowie eine konsequente Sanktionierung von Gewalttätern. Darüber hinaus äußerte die Innenministerin die deutliche Bitte an die Vereine, in der kommenden Saison zu den Niedersachsenderbys keine Tickets an Auswärtsfans zu verkaufen und die entsprechenden Blöcke frei zu lassen.“

Innenministerin Daniela Behrens erklärte dazu: „Trotz der ernsthaften Bemühungen der Vereine, die ich durchaus sehe, und trotz der umfangreichen Einsatzmaßnahmen der Polizei konnte erneut die massive Nutzung von Pyrotechnik beim vergangenen Niedersachsenderby nicht wirkungsvoll verhindert werden. Alle ergriffenen Maßnahmen - in baulichen wie auch technisch-organisatorischen Bereichen - haben zu keinem spürbaren Erfolg geführt. Grund dafür ist das Verhalten einiger weniger Chaoten, die unbelehrbar scheinen und durch ihr Verhalten immer mehr friedliche Zuschauer abschrecken. Statt stimmungsvoller Unterstützung für die Mannschaften zu zeigen, wird von einer vermummten Minderheit das Stadion zerlegt und exzessiv Pyrotechnik gezündet. Das bedeutet eine ernste Gefahr für die Mehrheit der friedlichen Fans, für die eingesetzten Ordner und für die Polizeikräfte. All das nehmen wir nicht länger hin! Deshalb habe ich die Vereine heute gebeten, dafür zu sorgen, dass die Niedersachsenderbys in der kommenden Spielzeit ohne auswärtige Zuschauer stattfinden. Die Gastblöcke werden leerbleiben! Weder ich, noch die Vereine und auch nicht die überwiegende Mehrheit der Fußballanhänger wünschen sich derartig einschneidende Maßnahmen, aber wir sind an einem Punkt, an dem wir der gewaltbereiten Minderheit im Stadion klarmachen müssen: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht! Ich hoffe sehr, dass dieser Schritt, der ausdrücklich nicht auf Dauer angelegt ist, dazu führt, dass sich die Szenen auch einmal selbst kritisch hinterfragen und sich von der Gewalt und denen, die sie ausüben, klar distanzieren.“

Nicole Kumpis, Präsidentin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Eintracht Braunschweig wird in der Mitteilung wie folgt zitiert: „Wir möchten uns für die sehr vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, den Polizeidirektionen und dem Verein Hannover 96 im Vorfeld des Derbys bedanken. Wir hatten sehr intensive Austauschformate und haben sehr vieles auf den Weg gebracht, dennoch haben wir Bilder gesehen, die wir so nicht wiedersehen wollen. Wir haben heute im Innenministerium sehr lange miteinander diskutiert und nehmen den Wunsch von Frau Ministerin Behrens sehr ernst, die kommenden zwei Derbys ohne Gästefans austragen zu lassen. Wir werden diese Bitte innerhalb unserer Organisation bewerten. Wir glauben grundsätzlich fest daran, dass es weitere Maßnahmen gibt, die wir umsetzen könnten und die aus unserer Sicht zu einer erhöhten Stadionsicherheit führen. Der Ausschluss von Gästefans ist für uns eine Ultima Ratio, die wir zwar nicht ausschließen wollen, wir für uns aber sorgfältig bewerten müssen. Uns ist bewusst, dass wir Schritte gehen und Maßnahmen sehr konsequent umsetzen müssen, um solche Ausmaße wie beim vergangenen Niedersachsenderby nicht erneut zu erleben. Die Voraussetzung für uns ist es natürlich, dass wir uns sportlich für die 2. Bundesliga in der kommenden Spielzeit qualifizieren.“

Martin Kind, Geschäftsführer Hannover 96 gibt in der Pressemitteilung folgendes Statement ab: „Die Analyse der zurückliegenden Jahre bis hin zum letzten Spiel in Braunschweig zeigt: Es wurde leider im Ergebnis zu wenig erreicht - auch im Dialog mit den Fangruppen konnten wir letztlich nicht überzeugen, was man auch kritisch hinterfragen muss. Im Ergebnis sind die getroffenen Maßnahmen noch nicht ausreichend. Den Vorschlag der Ministerin werden wir mit dem Innenministerium endgültig abstimmen. Die Politik könnte auch alleine entscheiden, aber ich gehe davon aus, dass wir letztlich die notwendigen Entscheidungen im Konsens treffen werden. Wir werden zu diesem Themenkomplex Gespräche mit DFB und DFL aufnehmen. Ich erwarte von den Verbänden, dass sich die Verantwortlichen kritisch damit auseinandersetzen und auch die Meinungsführerschaft übernehmen werden. Denn es reicht mit Blick auf die Gesamtentwicklung nicht, dass es nur Maßnahmen in Braunschweig und Hannover gibt. Wir betrachten diese Entwicklung insbesondere auch im Kontext des Strafenkatalogs des DFB. Es ist verbandsrechtlich so geregelt, dass wir für das Fehlverhalten Dritter haften. In der vergangenen Saison haben wir Strafen in Höhe von 625.000 Euro gezahlt. Dieses System halten wir für falsch. Die Strafen sollen einen präventiven Charakter haben. Das ist nicht der Fall. Es geht darum, dieses Thema mit den 36 Klubs der 1. und 2. Liga zu diskutieren, um – wenn möglich – einen gemeinsamen Weg zu gehen. Für uns in Hannover ist klar: Wir werden die Sicherheits- und Kontrollstrukturen der Heinz von Heiden Arena verändern – auch mit baulichen Maßnahmen, die wir im Sommer umsetzen werden. U.a. betrifft das eine neue Videotechnik zur besseren Identifizierung bei Fehlverhalten.“

Behrens geriet zuletzt in die Kritik sowohl von Eintracht Braunschweig- als auch von Hannover 96-Fans. Die Innenministerin war beim Niedersachsen-Derby am 14. April 2024 im Eintracht-Stadion vor Ort. „Mal wieder keine schönen Szenen im Stadion in Braunschweig. Massiv Pyro auf beiden Seiten. Unbescholtene Besucher und Ordner verletzt. Polizei ist mal wieder gefordert. Verhalten der Ultras hat mit Fussballliebe nichts zu tun. Echte Fans unterstützen ihren Club anders. Weitere Maßnahmen notwendig. Danke an @polizei.braunschweig“, kritisierte die SPD-Politikerin damals die Pyroaktionen beider Fanszenen. (Faszination Fankurve, 24.04.2024)

Pyroshow der Hannover 96-Fans beim Niedersachsen-Derby in Braunschweig.
Pyroshow der Hannover 96-Fans beim Niedersachsen-Derby in Braunschweig. Bild: faultier381

Faszination Fankurve dokumentiert die Pressemitteilung der Fanhilfe Hannover zum Thema:

Pressemitteilung: Ergebnisse des Arbeitstreffens per Direktive aus dem Innenministerium. Fanhilfe Hannover entsetzt über vorherrschenden Populismus.

„Entgegen ihrer eigenen Ankündigungen hat Frau Behrens zum wiederholten Male gezeigt, wie egal ihr die Fankurven und Fankultur in Gänze sind. Wir haben im deutschen Profifußball weiterhin die sichersten Stadien der Welt und bedauern sehr, dass die Innenministerin sich aus eigenem Profilierungsdrang so leichtfertig als Treiberin einer von Populismus geführten Debatte hingibt. Das Zustandekommen des heutigen Ergebnisses zeigt bereits, dass es von Beginn an lediglich um eine Direktive aus dem Innenministerium, statt um einen lösungsorientierten und auf Augenhöhe geführten Prozess ging.“ sagt Paula Mundt, Sprecherin der Fanhilfe Hannover.

Nach Informationen aus dem Niedersächsischen Innenministerium standen bereits im Vorfeld die Ergebnisse des heutigen "Arbeitstreffens" durch Telefonate zwischen Daniela Behrens und Vertretern der Profifußballgesellschaft (u.a. Martin Kind) am Montag fest. Martin Kind wird aus diesem Grund zudem auch nur der gemeinsamen Presseerklärung beiwohnen, wie bereits bekannt wurde.

Die Fanhilfe Hannover kritisiert an dieser Stelle auch den nicht bestehenden Club-Fan-Dialog zwischen der Profigesellschaft von Hannover 96 und der Fanszene, der dahingehend zu einer ausgewogenen Wahrnehmung der Interessenlage hätte führen können. 

Die Fanhilfe Hannover lehnt Kollektivstrafen in Gänze ab. Aufgabe des Rechtsstaates ist es, potenzielle Täter zu ermitteln und einem fairen Rechtssystem zuzuführen. Kollektivstrafen, wie die heute diskutierten Gästefanausschlüsse, sowie personalisierte Tickets sind weder zweck- noch verhältnismäßig. Sie offenbaren lediglich die Unfähigkeit der politischen Verantwortlichen, sich mit komplexen Sachverhalten im Bereich der Fankultur auseinanderzusetzen oder verdeutlichen das überhebliche Desinteresse an der Materie.

"Niemand würde bei der vorherrschenden Datenlage in anderen Bereichen beispielsweise ein Alkoholverbot auf Volksfesten oder ein Fahrverbot für Motorradfahrer fordern. Das heutige Ergebnis offenbart leider deutlich die Fehlbesetzung des Postens der Niedersächsischen Innenministerin. Mit ihrem unbedachten und realitätsfernen Handeln vertieft Daniela Behrens die Gräben zwischen Politik und Fanszenen weiter. Die Art und Weise, in der aktuell konsequent Fakten, Fanorganisationen, sowie sozialpädagogische bzw. wissenschaftliche Facheinschätzungen ignoriert werden, sind einer seriösen und zielführenden Diskussion nicht nur abträglich, sondern fördern eine weitere Eskalation. Daniela Behrens als oberste Dienstherrin der Polizeien gilt hier aufgrund der Natur der Sache in den Augen vieler gesprächsbereiter Fanvertreter schon tendenziell als befangen. Dass Frau Behrens allerdings derart offensichtlich ein Schwarz-Weiß-Bild zeichnet, um sich auf dem Rücken von tausenden Fußballfans mit vermeintlichen politischen Erfolgen zu profilieren, ist auch für uns nicht mehr akzeptabel. Sollte Daniela Behrens tatsächlich interessiert an einer lösungsorientierten Debatte sein, so erwarten wir eine umgehende Rücknahme der heutigen Ergebnisse und ein klares Bekenntnis zu Fankultur. Es war, wie bereits mehrfach von uns geäußert (https://fanhilfehannover.blogspot.com/2024/03/pressemitteilung-die-fanhilfe-hannover.html), 5 nach 12. Mit dem heutigen Tag stehen wir und andere Fanorganisationen ohne eine deutliche Bewegung in Richtung der Fankurven für Gespräche nicht mehr zur Verfügung." fährt Mundt fort.

Laut Datenlage der Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) strömten in der abgelaufenen Spielzeit 2022/2023 rund 26,5 Mio. Zuschauer in die Stadien der ersten drei Ligen inklusiver aller Pokal- und UEFA-Begegnungen. Hierbei gab es 1.176 verletzte Personen, was in relativen Zahlen 0,00444% sind. In diesen Zahlen werden Verletzte durch Polizeieinsätze (z.B. durch die Anwendung durch Pfefferspray) nicht gesondert erfasst. Dies bemängeln Fanhilfen bereits seit vielen Jahren. Daniela Behrens hätte sich hier im Zuge der IMK/SMK selbst für mehr Transparenz der Datenlage einsetzen können.

„Wir sprechen von einem absolut sicheren Stadionerlebnis in allen deutschen Ligen. Selbst im Rahmen der Fanproteste dieser Saison zeigten die Fankurven eindrucksvoll, wie sie über Wochen hinweg kreativ und verantwortungsvoll Gehör für ihre Forderungen erlangen können. Während in vielen anderen Ländern der Welt über die Rahmenbedingungen für eine (Teil-)Legalisierung von Pyrotechnik diskutiert wird, sitzt eine Innenministerin aus Bremerhaven ernsthaft dem Irrglauben auf, mit theoretischen Maximen ohnehin stattfindende Vorgänge zu kriminalisieren. Wir hätten einer SPD-Politikerin dahingehend tatsächlich mehr Zeitgeist zugetraut. In Bezug auf die Spiele von Hannover 96 können wir in keiner Art und Weise die Hysterie der Innenministerin nachvollziehen. Im Gegenteil. Zu einer Saison gehören nicht nur die beiden Derbybegegnungen, sondern auch mindestens 32 weitere Spiele. Die Polizei selbst hatte nach beiden Spielen der laufenden Saison ein positives Fazit gezogen. Der Blick für das große Ganze ist allerdings bei der Innenpolitik abhanden gekommen. Es wäre tatsächlich von großem Vorteil gewesen, wenn eine Versachlichung stattgefunden hätte. Auch die Fankurven als mündige Bürger hätten gerne ihre Forderungen, die es zu erfüllen gilt, platziert. Stattdessen hat es die Innenpolitik geschafft, vereinsübergreifend Fans aller Vereine gegen sich aufzubringen. Ein zielführendes Handeln lässt sich daher auch weiterhin nicht bei Daniela Behrens erkennen, was sie als verlässliche Gesprächspartnerin für Fanorganisationen bedauerlicherweise ausschließt. Wir werden in den kommenden Wochen aktiv die Fanszene Hannover in ihrem Handeln beraten und bestärken, gegen die Maßnahmen tätig zu werden“ sagt Paula Mundt.

Fanhilfe Hannover, 24.04.2024

 

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